Freie Theaterszene in Potsdam

Atemberaubend schmerzhaft
von Astrid Priebs-Tröger
Milljöh. „Mutter Krausens Fahrt ins Glück“ von Flunker Produktionen. Foto: H. Diedrich
Flunker Produktionen und das Theater des Lachens begeistern am ersten Wochenende Freier Theater im Potsdamer T-Werk.
… Das theatralische Highlight war die sozialkritische, groteske und tieftraurige Inszenierung „Mutter Krausens Fahrt ins Glück“ von Flunker Produktionen aus Wahlsdorf im Niederen Fläming: Mit einer Unmenge an Puppen, Masken, Requisiten und zahlreiche Dialogtexten auf Pappschildern in Szene gesetzt, stummes Puppen- und Objekttheater – und das zweieinhalb Stunden lang!
Archetypische Puppen
Die blitzschnelle Bilder-, Dialog-, Musik- und Geräuscheflut produzieren Claudia Engel, Matthias Ludwig und der Pianist Michael Hiemke schweißtreibend und live in sieben Szenen. In Berliner Slang wird hier erzählt, was bittere Armut und Perspektivlosigkeit mit und aus Menschen macht. Eindringlich schon die sieben Hauptfiguren: archetypische Puppen. Da ist die vollbusige Prostituierte, der durchtriebene Bursche, deren gemeinsames blasses Kind, die vom Leben gebeutelte großherzige Mutter Krause, deren schwindsüchtiges Töchterlein, ihr orientierungsloser, versoffener Bruder und der Proletarier Max, der das Leben mit breiter Brust und Zuversicht nimmt.
Engel und Ludwig bewegen die Figuren an knubbeligen Holzgriffen und sobald deren Auftritt vorbei ist, werden sie per Magnet entweder auf das mobile Metallgestell, das als Handlungsraum dient, sozusagen als „Beobachter“ angeheftet – oder landen wieder auf dem Puppenständer neben der Bühne. Auf unzähligen Pappschilder stehen die Dialoge wie Untertitel. Schon wie rasant und doch koordiniert Engel und Ludwig diese im Geschehen noch neben den Puppen bewegen, verdiente Bewunderung. Und noch mehr ihre ungeheure Liebe zum Detail und die Kunst, trotz des enormen Tempos Szenen mit berührender Kraft zu gestalten. Wie die, als das blasse Kind auf der improvisierten Schaukel sitzt und man als Zuschauer schon ahnt, dass sich der Strick alsbald um seinen kleinen Hals legen wird.
Solch atemberaubend schmerzhafte Bilder finden sich vor allem im zweiten Teil des Abends, in dem kleine Figuren, die von einem Fahnenträger angeführt werden, auf ein altertümliches elektrisches, endlos umlaufendes Laufband gesetzt werden. Der Pianist intoniert dazu die „Internationale“. Wie lakonisch da eine Menschheitsutopie ad absurdum geführt wird – unglaublich schmerzlich und komisch zugleich. Vom Potsdamer Publikum gab es für die zupackende, mutige, pointierten Inszenierung minutenlang Beifall. Eine wirkliche Entdeckung.